Sonntag, 16. Januar 2011

Der Gentleman-Plattenspieler

DJ Hell gilt als einer der besten DJs weltweit und seine Meriten sind wahrlich beeindruckend. Seit fast 30 Jahren ist er im Geschäft, hat gerade sein fünftes Album herausgebracht, beschallt die Schauen von Modeschöpfern wie Donatella Versace, Dirk Schönberger oder Michael Michalsky. Er wurde von Karl Lagerfeld abgelichtet, GQ wählte ihn 2003 zum „Man Of The Year“ und bei der Party zum 50. Playboy-Jubiläum ließ er höllisch die Puppen tanzen. Hell kooperiert mit Größen der Musikwelt wie z. B. Sean „Diddy“ Combs, Grace Jones oder Alan Vega, jettet von Party zu Party durch die Welt, tritt eine Nacht in Miami auf und zwei Tage später in Deutschland. Wie spricht man ihn an? „Guten Tag, Herr Hell“? Oder mit dem Namen, der in seinem Pass steht? Helmut Josef Geier? Wird ihn das verärgern? Stopft sein Bodyguard den frechen Frager dann in die nächste Mülltonne?

„Ich bin Hell“, stellt sich ein distinguiert wirkender Mittvierziger mit blondem, zurückgestrichenen Haar und kurz geschorenem Schnurrbart vor – und bietet gleich das Du an. Ist das der coole Typ von den Fotos? Die Modeikone aus den Hochglanzblättern? Sportlich und wettergegerbt sieht der in Altenmarkt an der Alz geborene Bayer aus, aber nicht wie jemand, der seit 30 Jahren die Nächte durcharbeitet. Vielleicht liegt es an der Art von Bräune, die kein Solarium so hinkriegt. Leicht unregelmäßig und gemischt mit Sommersprossen. So einen Teint haben Leute, die viel im Freien sind. Und dann noch dieser leichte Dialekt. Man könnte ihn direkt für eine Gastrolle in der BR-Daily „Dahoam is dahoam“ casten. Einen Bodyguard hat er übrigens nicht dabei, nur einen höflichen jungen Mann, der vermutlich als sein Assistent fungiert.

Hell trägt einen hochmodischen Look aus blauem Samtsakko, blaugrauem Hemd, einer schmalen Wollkrawatte, grauen Röhrenjeans und schwarzen Lack-Winklepickers. Der DJ ist Anzugfan, liebt Mode und mixt für seine Looks Kleidung unterschiedlichster Provenienz: „Ich kombiniere aus Second-Hand, Military, Oldtime-Favourites, Klassikern und ein paar Designersachen. Aber nicht so plakativ, das mag ich nicht. Das Sakko hier ist z. B. von Yves Saint Laurent. Es ist schon fünf Jahre alt, aber einfach perfekt.“ Für Auftritte wählt er aus praktischen Gründen meist das klassische DJ-Outfit aus Jeans und T-Shirt. Bei einem Anzug hätte er immer ein schlechtes Gefühl, wenn er die Jacke irgendwo ablegt. Das Risiko, dass sie Schaden nimmt oder wegkommt, ist zu groß. Nach ausgefallenen Teilen zu stöbern, macht ihm einen Heidenspaß und wenn er in Paris zu tun hat, nimmt er sich trotz des Termindrucks nach Möglichkeit immer Zeit fürs Shoppen, z. B. bei Colette, der Mutter aller Trendboutiquen. Oder er geht direkt zu seinem Lieblingsdesigner Martin Margiela, in dessen Kollektion wird er immer fündig. Sein Interesse an Mode empfindet Hell nicht als Widerspruch zu seinem Metier: „Musik und Fashion sind für mich eine Einheit.“

Manch einer wird jetzt vielleicht die Stirn runzeln. Ist das, was Hell veranstaltet, Musik? Wer sich nicht mit elektronisch erzeugten Klangkreationen auskennt und bei Techno an Scooter und seine Sirene denkt, würde Hell total falsch einordnen. Hell hat mit Scooter, DJ Ötzi & Co. so viel zu tun wie Herbert von Karajan mit dem Dirigenten einer Bierzeltkapelle. Hell bezeichnet sich im Gespräch zwar bescheiden als „DJ und Unterhalter“, er ist aber alles andere als einer von diesen Stimmungsmachern, die in Discos lahme Besucher mit unheimlich witzigen Sprüchen zum Tanzen animieren. „Ich bin Musiker, Produzent, Arrangeur und versuche, verständliche Musik zu machen, zu der die Leute tanzen,“ definiert Hell sein Wirken. Früher arbeitete er dabei auf der Bühne und im Studio als Einzelkämpfer, so wie es üblich war in der elektronischen Musik. Für sein neues Album hat er sich jetzt Musiker ins Boot geholt. „Ich habe das selbst ja nicht gelernt, deswegen lasse ich mir Hilfestellung geben. So wie David Bowie, der das sein ganzes Leben lang so gemacht hat mit Brian Eno.“

Hells Arbeitsweise ist mit der eines Filmemachers vergleichbar, der in einer Person Drehbuchautor und Regisseur ist. Denn trotz des Fremdinputs liegt die kreative Leitung beim deutschen Star-DJ: „Ich bin der Künstler und Entertainer.“ Sein neues Album enthält zwei CDs, eine für die Clubs zum Tanzen und eine zum reinen Hören. Hell ringt ein wenig mit Worten, als er die Musik beschreiben soll: „Sie ist – vorsichtig gesagt –für Fortgeschrittene, nicht mehr so einfach zugänglich.“ Bereits durch seine früheren Alben hat Hell sich einen Platz in der deutschen Kulturlandschaft erobert. So sieht es jedenfalls das Goetheinstitut. Wenn deutsche Musik im Ausland vorgestellt wird, ist Hell häufig dabei, z. B. in Mexiko, Brasilien und Japan. Von staatlicher Seite wahrgenommen zu werden und neben Modeschöpfern und Filmleuten die Kultur seines Landes darstellen zu dürfen, empfindet Hell als Auszeichnung. Im Gegenzug macht er dann auch finanziell einen Kompromiss: „Da fahre ich dann auch für wenig Geld hin, Goethe zahlt ja nicht die normale Gage.“

Hells cooles Image beruht in erster Linie auf seinem Namen. „Die Leute im Ausland denken oft, da kommt ein Riesenkerl, ein Monster. Die sind dann meistens überrascht, dass ich ein ganz normaler, gewöhnlicher Typ bin.“ Auf Fotos, die ihn bei der Arbeit zeigen, wirkt er unnahbar, doch Hell ist dann einfach konzentriert. Er weiß, dies wird oft missverstanden, doch er weigert sich, den Clown zu spielen: „Ich finde es peinlich, wenn Kollegen auf diese Art Aufmerksamkeit kriegen wollen.“ Hells Bild wird natürlich auch durch die Inszenierungen der Fotografen bestimmt. Auf einigen Aufnahmen aus der Vergangenheit erkennt er sich oft gar nicht mehr: „Wenn ich manche Fotos sehe, ist das schmerzhaft.“ Mittlerweile hat Hell gelernt, Shootings zu steuern. Dabei muss er oft mit den Fotografen kämpfen. Einmal wollte ihn jemand nackt ablichten – er schlug eine andere Inszenierung vor: „Das Thema war Andy Warhell. Das mochte sie am Anfang gar nicht, am Ende waren aber alle glücklich. Und es steht ja ihr Name unter dem Foto und sie hat wahnsinnig viel guten Response bekommen.“ Hell posiert in der Bilderserie mit der typischen Perücke des Pop-Art-Künstlers, zu seinen Füßen räkelt sich eine Frau.

Hells sportliche Erscheinung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis lebenslanger Aktivität: „Bevor ich ins Nachtleben eingestiegen bin, war Sport für mich das Wichtigste. Ich war jeden Tag in irgendeinem Sportclub beim Training. Schützenverein, Tischtennis, Eishockey, Fußball. Ich war ein guter Tennisspieler, sehr guter Skifahrer, war da sogar Vereinsmeister, hab Langstreckenlauf gemacht, war Chiemgaumeister über die 3000-Meter-Distanz. Ich hab alles ausprobiert. Sport war meine Berufung.“ Wenn es seine Zeit zulassen würde, hätte Hell Lust, sich auf einen Marathonlauf vorzubereiten oder für den Dreikampf zu trainieren. Im Moment muss er sich aber auf regelmäßiges Fitnesstraining beschränken: „Ich bin im Leo’s in München, da habe ich einen Personal Trainer. Der achtet genau auf meine Schwachpunkte Rücken und Schulterbereich, weil ich immer gebückt arbeite.“ Dass der Bayer Hell in seinem Leben angeblich noch kein einziges Glas Bier getrunken hat, überrascht trotz seines fitten Äußeren ein wenig. Er sagt, er mag den Geschmack einfach nicht. Alkohol trinkt er momentan sowieso nicht, er ist Nichtraucher, ernährt sich gesund. Und seine oft kolportierte Vorliebe für Champagner? „Eine Zeitlang habe ich den gern bei meiner Arbeit getrunken, allerdings nur Nectar Impérial von Moët & Chandon.“ Davon ist er aber schon lange wieder abgekommen, heute tut es Wasser.

Als glamourös empfindet Hell seinen Job kaum noch, nicht nur wegen der physischen Probleme, die sich mit den Jahren eingestellt haben. Neben dem Rücken machen ihm z. B. auch die Ohren zu schaffen. Es sind auch die vielen Flugstunden, die im Lauf der Jahre zusammengekommen sind, das ständige Schlafdefizit, die zahllosen Wochenenden in den Clubs der Welt. Die nüchterne Beschreibung seiner Realität steht natürlich im Gegensatz zu dem, was die Medien zeigen. „Klar sieht das immer schön aus in Magazinen und auf Videos. Aber das ist ja auch, wie die Amis sagen, ready to fake.“ Ihm ist bewusst, dass er statistisch gesehen den Traum der meisten männlichen Jugendlichen lebt: „70 Prozent nennen meinen Job, wenn sie nach ihrem Berufswunsch gefragt werden.“ Neueinsteigern rät er dazu, einen eigenen Stil zu kreieren, statt bekannte Künstler zu kopieren. So wie er es selbst seit dreißig Jahren macht: „Nach so langer Zeit im Business ist ziemlich deutlich, was ich mache, aber ich breche das immer wieder. Anders würde es für mich wenig Sinn machen.“

Hell liebt das Stadtleben, trotzdem wünscht er sich einen Rückzugsort auf dem Land, am liebsten in seiner Heimatregion am Chiemsee. Dort sucht er schon seit langem nach einem alten Bauernhof, den er nach seinem Geschmack umgestalten würde. Da er bisher nicht fündig geworden ist, erwägt er eine Übergangslösung: „Irgendwas, in das ich nicht viel investiere. Da könnte ich sein, bis das richtige kommt.“ Da Hell sehr auf minimalistisches Design steht, wäre Selberbauen auch eine Option, allerdings steht ihm da der Ordnungssinn des Gesetzgebers im Wege: „In dem Kreis sind Dächer mit Giebel ein Muss.“ Deshalb hat er sich auch von der Idee verabschiedet, ein Fertighaus aus Kalifornien liefern zu lassen. „Viel Glas und alles offen, das wäre genau mein Geschmack. Aber sowas kann man da nicht in die Landschaft stellen.“

Zu Hell gehören auch die schnellen Autos, auf vielen Fotos ist er in schnittigen Schlitten zu sehen. Als Sportler ist er ein Mann der Geschwindigkeit und als Künstler ein Designfan, gelungene Fahrzeuge liegen ihm deshalb. Allerdings konnte er sich Nobelkarossen in den Anfangsjahren nicht leisten. „Ich hatte immer Schrottkisten, die nur noch ein Jahr TÜV hatten. Wie das so ist bei jungen Menschen. Da konnte ich gar nicht schnell fahren. Später bin ich irgendwann auf BMW gekommen, durch ein Sponsoring, und seitdem fahre ich die Marke eigentlich nur noch.“ Durchaus auch gern mal recht zügig, wie er in einem Interview mit einem Autohaus bekannte: „Unter 200 km/h bin ich kaum unterwegs.“ Da er aber meistens nachts oder sehr früh morgens auf der Straße ist, liegt das auch nahe. Er könnte sich aber auch durchaus vorstellen, einen Rasenmäher gemächlich über eine Wiese zu steuern, „allein schon wegen des Geruchs von frisch geschnittenem Gras.“

Die elektronische Musik wird zwar mit Jugendkultur identifiziert, die Partygänger in den Clubs bewegen sich aber altersmäßig zwischen zwanzig und Mitte vierzig. Auch wenn Hells Musik kein Teenie-Ding ist, stellt sich dennoch die Frage, wie lange er das Clubleben noch mitmachen will. „Es gibt wenig Erfahrungswerte im DJ-Bereich“, erklärt er, „ich gehöre der Generation an, die da zum ersten Mal an Grenzen stoßen wird. Es hängt natürlich auch von körperlichen Faktoren ab, ob z. B. die Ohren mitspielen. Auf jeden Fall werde ich immer mit Musik in Berührung sein. Ich kann nicht mit 65 oder 70 in Rente gehen, was soll ich dann machen?“ Will er vielleicht sogar hinter seinen Plattenspielern sterben? Hell lacht: „Turntables wird es da schon nicht mehr geben.

Bernhard Roetzel

1 Kommentare:

Blogger Bob Getty meinte...

Toller Artikel! Hat richtig Lust gemacht, die alten Hell-Platten mal wieder anzuhören. Weiter so!

16. Januar 2011 um 09:53  

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